Swiss Interim Management: Herr Cober, willkommen und herzlichen Dank, dass Sie heute hier sind, um die Ergebnisse der 5. Horváth CxO Priorities Studie mit uns zu besprechen. Könnten Sie uns zunächst erklären, worum es in der Studie geht und warum sie wichtig ist?
Harrison Cober: Vielen Dank für die Einladung. Gerne. Die Horváth CxO Priorities Studie befragt weltweit jährlich über 770 Führungskräfte. In Form von persönlichen Tiefeninterviews, möchte man herausfinden, welche Themen gerade die Top- Unternehmenslenker umtreiben. Wo sehen sie die grössten Wachstumspotentiale? Bei welchen strategischen Themen setzen sie ihre Schwerpunkte? Welche Chancen und welche Risiken sehen sie? Die Studie ist einfach sehr interessant, weil sie uns eine Momentaufnahme dessen gibt, was Top-Führungskräfte beschäftigt. Sie kann uns Denkanstösse geben, welche Trends in Geschäftsstrategien, welche technologischen Fortschritte und globalen Marktverschiebungen sich abzeichnen. Ich bin sicher, es kann sich hier jeder, der ein Unternehmen leitet, etwas für sich herausnehmen.
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Swiss Interim Management: Über 90 % der Befragten betrachten die digitale Transformation als einen wichtigen oder sehr wichtigen Faktor für das mittel- und langfristige Wachstum. Sie ist daher die oberste Priorität für 2024. Als Interim Manager, wie sehen Sie die Auswirkungen auf Ihre Branche?
Harrison Cober: Das überrascht mich nicht. Die digitale Transformation ist und bleibt das alles überragende Megathema. Wenn Sie bedenken, dass die KI in den US-Unternehmen eine starke Neubewertung ausgelöst hat. Beispielsweise die Top sechs Unternehmen – von 30 bis 40 Prozent Wertsteigerung ist hier die Rede. Das müssen Sie sich einmal vorstellen.
Es ist doch völlig klar, dass jeder Manager so schnell wie möglich die Digitalisierung in seinem Unternehmen voranbringen möchte. Einfach weil sie jetzt eine Steigerung der Effizienz bietet, die vorher nie denkbar war. Aber, und das ist die entscheidende Frage: Wo und wie setze ich passgenau bei meinem Unternehmen an? Denn das Tagesgeschäft muss ja reibungslos weitergehen. Und die meisten Mitarbeitenden sind sicher nicht bereit, sich in ihrer Freizeit mit der Implementierung neuer KI-Technologien für das Unternehmen zu beschäftigen. Das muss alles möglichst smart im Hintergrund ablaufen.
Ich denke, für uns Interim Manager bedeutet das und das sehen wir ja jetzt schon, dass immer häufiger Unternehmen an uns herantreten werden, die unsere Expertise für nachhaltig angelegte Digitalisierungs-Initiativen in Anspruch nehmen möchten. Denn alles in allem stehen viele Unternehmen in diesem Bereich noch relativ am Anfang.
Und die Zahlen belegen das – aus der Studie sehen wir eindeutig: Der Einsatz von KI hat ihren Status als oberste Priorität bestätigt, was eine robuste KI-Strategie und ein klares Betriebsmodell erfordert. Die Studie zeigt aber auch, dass rund die Hälfte der Unternehmen nach eigener Einschätzung noch in einem frühen Stadium der KI-Integration sind. Das zeigt, dass ein kontinuierlicher Fokus auf den Aufbau interner Kompetenzen und die Einbettung KI-gesteuerter Prozesse besteht.
Swiss Interim Management: Für 90 Prozent der CxOs sind Kosteneffizienz und Ergebnisorientierung von grosser Wichtigkeit. Wie würden Sie diese Priorität interpretieren?
Harrison Cober: Auch das war zu erwarten. Man sollte jedoch hinzufügen, dass die Zeit der Ergebnisoptimierung durch reine Preiserhöhungen bei den Kunden definitiv vorbei ist. Vielmehr zeigt die Studie, dass zwei Drittel der Vorstände, insbesondere im produzierenden Gewerbe, wirklich strukturelle Verbesserungen anstreben. Das bedeutet, dass das eigene Produktportfolio wieder stärker unter die Lupe genommen wird: Angefangen beim Einkauf, der nach Jahren der Materialengpässe nun wieder in einer besseren Verhandlungsposition ist, über Produktivitätssteigerungen durch Automatisierung, bis hin zu Ideen wie beispielsweise «Shared Service» Einheiten. Diese Einheiten bündeln häufig administrative und unterstützende Prozesse, um Effizienzgewinne zu erzielen und Kosten zu senken. Gleichzeitig beobachtet man - und das ist sehr interessant - dass weltweit neue Arbeitsplätze entstehen.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist die Empfehlung, über die reine Kosten- und Ergebnisorientierung hinauszudenken und durch strukturelle Verbesserungen einen nachhaltig wirkenden Transformationsprozess in Gang zu setzen. Im Idealfall ist dann die Kostensenkung eine von mehreren positiven Auswirkungen.
Im Bereich des Interim Managements sehen wir diesen Trend bestätigt: Natürlich geht es immer noch um die schnelle Bereitstellung von Spitzen-Expertise bei akuten Herausforderungen. Allerdings achten Unternehmen zunehmend auch auf die mittel- bis langfristige Perspektive. Besonders wenn sie sehen, welche Hebelwirkungen eine gut durchdachte Digitalisierungsinitiative, beispielsweise lanciert durch einen Interim Manager, bewirken kann.
Swiss Interim Management: Die Studie zeigt, dass die Anzahl schwerwiegender Cyberattacken leicht gesunken ist, was darauf hindeutet, dass Unternehmen besser gerüstet sind. Trotzdem ist Cyber Security für 9 von 10 Unternehmen nach wie vor äusserst wichtig. Wie bewerten Sie die Bedeutung von Cyber Security?
Harrison Cober: Cyber Security sollte für jedes Unternehmen eine sehr hohe Priorität haben. Obwohl die Anzahl schwerwiegender Cyberattacken leicht zurückgegangen ist, zeigt dies nur, dass Unternehmen bereits erhebliche Fortschritte gemacht haben, ihre Abwehrmechanismen zu stärken. Dennoch bleibt die Bedrohung bestehen. Denn: Ein einziger Sicherheitsvorfall kann schwerwiegende finanzielle Verluste und Schäden für die Reputation nach sich ziehen, die nur schwer wieder zu beheben sind. Neben dem Schutz von sensiblen Daten und Systemen eines Unternehmens gilt es genauso, und das wird auf den ersten Blick häufig nicht gesehen, auch dessen Ruf und das Vertrauen bei Kunden und Partnern zu schützen. Wenn Kundendaten ungeschützt weitergereicht werden, ist das ein irreparabler Schaden. Daher ist eine proaktive und umfassende Sicherheitsstrategie heute unerlässlich.
Zusätzlich ist es auch wichtig zu verstehen, dass Cyber Security nicht nur eine technische Herausforderung ist, sondern auch eine Frage der Unternehmenskultur. Mitarbeiter müssen geschult und sensibilisiert werden, um Sicherheitsrichtlinien zu verstehen und umzusetzen. Immer mehr Geschäftsprozesse und Daten werden online abgewickelt, deshalb muss Cyber Security heute ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Unternehmensstrategie sein. In kontinuierliche Überwachung, regelmässige Sicherheitsüberprüfungen und moderne Technologien zu investieren ist ein definitives «must have» für jedes Unternehmen, dass in irgendeiner Form online wichtige Daten hostet.
Swiss Interim Management: Themen im Bereich «Personal» sind von der höchsten Priorität auf den vierten Rang gefallen. Wie lässt sich das erklären?
Diese Verschiebung lässt sich durch mehrere Faktoren erklären: Zum einen haben sich die Prioritäten der Unternehmen aufgrund aktueller wirtschaftlicher Herausforderungen und strategischer Neuausrichtungen verschoben. Themen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Kostenoptimierung sind in den Vordergrund gerückt, während Personalthemen etwas an Bedeutung verloren haben. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass viele Unternehmen bereits Massnahmen zur Personalgewinnung und -bindung umgesetzt haben. Flexible Arbeitsmodelle und Verbesserungen im «Employer Branding» wurden eingeführt, was den unmittelbaren Handlungsdruck in diesem Bereich verringert hat. Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch, dass Personalstrukturen in vielen Unternehmen dem Wandel der Arbeitswelt hinterherhinken. Eine gewisse strukturelle Trägheit könnte dazu führen, dass Personalthemen als weniger dringlich wahrgenommen werden, obwohl sie eigentlich hohe Priorität haben sollten.
Und leider: Auch kurzfristiges Denken einiger Unternehmen spielt eine Rolle. Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten konzentrieren sich manche Unternehmen stärker auf kurzfristige Ziele, wodurch langfristige Personalstrategien in den Hintergrund geraten. Hinzu kommt, dass die langfristige Bedeutung von Personalthemen möglicherweise
unterschätzt wird, insbesondere in Bezug auf «Reskilling» und umfassende Kulturprojekte. Trotz des Rückgangs in der Prioritätenliste bleibt die Bedeutung von Personalthemen hoch. Die Studie zeigt, dass Vorstandssitzungen immer stärker von personalbezogenen Diskussionen geprägt sind, was darauf hindeutet, dass diese Themen weiterhin eine wichtige Rolle spielen, auch wenn sie nicht mehr die höchste Priorität haben.
Aus meiner Sicht lohnen sich Investitionen in eine durchdachte HR-Strategie, wie zum Beispiel durch die Einbindung eines Interim Managers. Unternehmen, die sich Zeit nehmen, um die richtigen Talente zu gewinnen und zu binden, profitieren von einer engagierten, produktiven und loyalen Belegschaft.
Swiss Interim Management: Die Sicherstellung der Liquidität hat sich für viele Unternehmen erneut als Schlüsselthema herauskristallisiert. Für Sie nachvollziehbar?
Harrison Cober: Zunächst sind die anhaltenden wirtschaftlichen Unsicherheiten, die durch die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie und geopolitische Spannungen, wie den Krieg in der Ukraine, verstärkt werden, zu nennen. Diese Entwicklungen haben zu einem volatilen Wirtschaftsumfeld geführt. Zusätzlich sehen sich viele Unternehmen mit stark gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten konfrontiert. Diese Kostensteigerungen erhöhen den Druck auf die Liquidität und machen ein effektives Management der verfügbaren Mittel umso wichtiger.
Auch das veränderte Konsumverhalten, insbesondere im Einzelhandel, spielt eine Rolle. Digitalisierung und Pandemie haben die Kaufgewohnheiten der Verbraucher nachhaltig verändert. Auch das kann zu Umsatzschwankungen und damit zu Herausforderungen bei der Liquiditätsplanung führen.
Ein weiterer Aspekt ist die aktuelle Zinswende. Nach Jahren der Niedrigzinspolitik steigen die Zinsen wieder, was die Finanzierungskosten erhöht und die Bedeutung eines effizienten Liquiditätsmanagements verstärkt.
Und: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, stehen viele Unternehmen heute zudem vor der Herausforderung, in Digitalisierung, Nachhaltigkeit und neue Technologien investieren zu müssen. Dies erfordert eine sorgfältige Planung der verfügbaren Mittel. Die Lehren aus vergangenen Krisen, wie der Finanzkrise und der COVID-19-Pandemie, haben vielen Unternehmen die Bedeutung ausreichender Liquiditätsreserven ganz klar vor Augen geführt.
Sie sehen also, eine ganze Reihe an Faktoren führt dazu, dass Unternehmen die Wichtigkeit eines robusten finanziellen Fundaments in einem unsicheren Wirtschaftsumfeld erkannt haben. In Grunde ein absolut menschliches Verhalten: In Zeiten der Unübersichtlichkeit sehnt man sich einfach nach mehr Sicherheiten. Ein finanzielles Polster gehört da zweifelsohne dazu.
Swiss Interim Management: Herr Cober, vielen Dank für das Gespräch.
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