Ein Interview mit Jürgen Kramer
Die heutige Geschäftswelt ist geprägt von rapidem Wandel und der ständigen Notwendigkeit zur Anpassung. Für Unternehmen ergibt sich daraus die Herausforderung, Personal so auszuwählen und einzusetzen, dass Management und Teams diesen dynamischen Anforderungen gerecht werden. In diesem Interview bietet Jürgen Kramer eine Einsicht in den Beruf des Interim Managers.
Swiss Interim Management : Wie unterscheiden sich die Projekte, die Sie als Interim Manager übernehmen, von denen, die Sie als festangestellter Mitarbeiter bearbeiten?
Jürgen Kramer: Interim Manager werden häufig für spezielle projektartige Aufgaben engagiert, die eine externe Perspektive und spezifische Expertise erfordern. Es sind meist Aufgaben, die eine unabhängige Entscheidungsfindung und zügige Umsetzung erfordern. Gute Interim Manager bringen frischen Wind und neue Ansätze ein, da sie wissen, dass ihr Engagement befristet ist und die Lösungen funktionieren. Zudem können Sie weitestgehend unvoreingenommen agieren, also nicht im Beziehungsnetz der jahrelangen Kollegialität verfangen.
Jürgen Kramer: Ich mag als Versinnbildlichung der Funktion des Interim Managers gerne das Beispiel des Katalysators in der Chemie. Ein Katalysator ermöglicht eine Reaktion, indem er die Aktivierungsenergie senkt und den Prozess beschleunigt. Ähnlich dazu übernimmt ein Interim Manager eine Rolle, in der er Veränderungen und Verbesserungen für das Unternehmen initiiert und implementiert. Während seines Wirkens hält er sich möglichst unberührt von internen politischen Strukturen und Langzeitverpflichtungen. Durch diese neutrale, quasi katalytische Position kann er effizient und zielgerichtet handeln, was notwendig ist, um Projekte schnell erfolgreich abzuschliessen.
Swiss Interim Management : Kannst du ein konkretes Beispiel für ein erfolgreiches Projekt geben, bei dem die Tätigkeit als Interim Manager entscheidend war?
Jürgen Kramer: Ein Unternehmen befand sich in einer angespannten finanziellen Lage. Innerhalb eines Jahres konnten wir es jedoch wieder in die Gewinnzone bringen. Wir haben das Produktsortiment optimiert, eine detaillierte Analyse der Profitabilität des Portfolios durchgeführt und die Preisstrategie angepasst. Eine SWOT-Analyse half uns, neue Geschäftsmöglichkeiten zu identifizieren. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Fokussierung auf wertvolle Kundenbeziehungen, da das Unternehmen zuvor versucht hatte, es zu vielen Kunden recht zu machen, was zu suboptimalen Ergebnissen führte. Die Kommunikation mit Kunden als Interim-Manager war hier ein großer Vorteil, da man eben nicht «vorbelastet» ist auf persönlicher Ebene.
Ein anderes Beispiel ist ein IT-Unternehmen mit einem komplexen und schwer verständlichen Produkt. Wir haben den Vertrieb dahingehend geschult, Leads, den Mehrwert und den ROI des Produkts klar zu kommunizieren. Dadurch konnten wir nicht nur die Verkaufszahlen steigern, sondern auch eine nachhaltige Kultur der Zusammenarbeit im Team etablieren, insbesondere zwischen Marketing, Technik und Verkauf. Ein guter Interim Manager sollte eine funktionierende Struktur hinterlassen. Der Interim Manager wirkt wie zuvor beschrieben wie ein Katalysator: Er beschleunigt notwendige Veränderungen und Prozesse, ohne langfristig Teil der Organisation zu bleiben. Nach seinem Einsatz haben die Teams klare Ziele und wissen, wie sie diese erreichen können. Der Interim Manager bringt frische Perspektiven ein und hinterlässt nachhaltige Verbesserungen, die auch nach seinem Weggang weiterwirken.
Ausserdem hinterlässt ein guter Interim Manager eine Weiterentwicklung der Kultur und Methodologie. Es geht darum, Wissenssilos aufzubrechen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu fördern.
Swiss Interim Mangement: Welche speziellen Herausforderungen hast du als Interim Manager in mittelständischen Unternehmen erlebt und wie hast du diese gemeistert?
Jürgen Kramer: Eine häufige Herausforderung ist, dass es anfänglich Bedenken oder Zurückhaltung von der bestehenden Führungsebene gibt. Diese Bedenken sind verständlich, da Veränderungen Unsicherheit mit sich bringen können. Es ist wichtig, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu gewinnen und gleichzeitig die Führungsebene einzubinden und deren Unterstützung explizit hinter sich zu haben. Ein Interim Manager bringt oft eine breitere Perspektive und neuartige - aber erfolgreich geprüfte - Ansätze mit, was zu den gewünschten Veränderungen führen kann.
Im Gegenzug erhält ein Interim-Manager oft auch viel Anerkennung und Unterstützung, gerade wenn der kritische Zustand eines Unternehmens allen bekannt ist. Beispielsweise hat mir ein Mitarbeiter beim Kunden einmal gesagt, dass er ohne meine Person das Unternehmen längst verlassen hätte. Solche Rückmeldungen zeigen, dass der Einsatz eines Interim Managers nicht nur Veränderungen bringt, sondern auch langfristig positive Auswirkungen hat, insbesondere in Bezug auf Motivation und Durchhaltevermögen.
Swiss Interim Management: Wie gehst du vor, um Vertrauen und Akzeptanz in einem neuen Unternehmen zu gewinnen?
Jürgen Kramer: Durch Offenheit und Unvoreingenommenheit. Es geht nicht darum, alles besser zu wissen, sondern darum, zuerst zuzuhören und die Mitarbeitenden ernst zu nehmen. Man sollte sich als unbeschriebenes Blatt sehen, ohne besserwisserische Lösungen oder gar «Fingerpointing» es ist wichtig, Fragen zu stellen, um zu verstehen, warum Dinge auf eine bestimmte Weise gemacht werden. Eine wertvolle Methode ist, zu fragen, was die Mitarbeiter sich wünschen würden, was sie ändern würden, wenn sie freie Hand hätten. So gewinnt man wertvolle Einblicke in Engpässe und gewinnt das Vertrauen der Mitarbeiter.
Und auch indem man verständlich macht, dass die Vertraulichkeit gewahrt ist, jedoch das Fakten selbst an die Geschäftsleitung herangetragen werden müssen - denn die GL ist eben ultimativ der Auftraggeber. Dies zu signalisieren ist eine Gratwanderung einerseits – und eine Kunst andererseits- denn der Interim Manager trägt ja oft keinen Interim-Stempel, sondern agiert innerhalb der Organisation. Ziel ist eine Win Win-Situation für alle Beteiligten, ohne die Bürden der Verflechtungen der Vergangenheit zu kennen.
Swiss Interim Management: Das klingt nach einer guten Strategie. Wie bleibst du in deinem Fachgebiet auf dem neuesten Stand und wie wichtig ist kontinuierliche Weiterbildung für einen Interim Manager?
Jürgen Kramer: Ein breites Fähigkeitsspektrum ist entscheidend. Es ist wichtig, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben, insbesondere bei disruptiven Technologien wie Künstlicher Intelligenz. Kontinuierliches Lernen und Weiterbildung sind eben unverzichtbar. Auch in Bezug auf relevante Gesetze und Vorschriften, wie das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz oder der digitale Produktpass. Gerade so wichtig ist jedoch auch die Fähigkeit der wertschätzenden Kommunikation, damit das Wissen und die daraus resultierenden Forderungen verdaulich kommuniziert werden, um den Unternehmen bestmöglich helfen zu können.
Swiss Interim Management: Welche Bereiche siehst du als besonders geeignet für den Einsatz von Interim Managern?
Jürgen Kramer: Der Vertrieb ist ein besonders geeigneter Bereich. Oft wissen die Teams nicht, wie sie effektiv an Leads herankommen.
Es gibt viele « Fachleute » im Unternehmen, die ihre Produkte und die Technik dahinter verstehen, aber Schwierigkeiten haben, den Nutzen dieser Produkte und deren Vorteile auf dem Markt nachvollziehbar zu vermitteln. Hier können Interim Manager entscheidend unterstützen, um die Vertriebsstrategie zu optimieren und die Marktposition zu stärken, weil sie selbst das Portfolio aus externer Sicht sehen – also aus dem Blickwinkel des Leads.
Ein weiterer kritischer Bereich ist die IT. Laut einer Studie von Roland Berger sind viele Unternehmen damit konfrontiert, dass ihre IT- und Geschäftsstrategien nicht mehr im Einklang stehen. Etwa 60 % der CIOs und CTOs haben Schwierigkeiten, ihre eigene Systemlandschaft zu überblicken, und 75 % geben an, dass ihre IT-Systeme außer Kontrolle geraten sind. Interim Manager können hier helfen, diese Herausforderungen zu meistern, indem sie digitale Strategien implementieren und Prozesse optimieren, insbesondere in Zeiten, in denen disruptive Technologien wie Künstliche Intelligenz zusätzlich als wichtige und schwer einzuschätzende Variable an Bedeutung gewinnen.
Auch im Change-Management und der Prozessoptimierung sind Interim Manager von hohem Nutzen. Diese Bereiche bilden oft die Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung und helfen Unternehmen, agiler und resilienter zu werden.
Jürgen Kramer verfügt über eine breite Ausbildung als Diplom-Chemiker, Vertriebsingenieur
sowie einen MBA in International Management Consulting von der Universität Hull and Humberside. Jürgen hat in seiner Karriere zudem eine tiefgehende Expertise im Business Development angesammelt, davon mittlerweile über ein Jahrzehnt in verschiedenen Assignments als Interim Manager. Seine vorherige berufliche Laufbahn umfasst leitende Positionen in multinationalen mittelständischen Unternehmen sowie zahlreiche Projekte, die er durch seine Vertriebsmethodologie und Digitalisierungsaffinität vorangetrieben hat. Ursprünglich aus der Life-Science & Chemie kommend, hat er auch in Unternehmen im Bereich Logistik, HR und IT zu nachhaltigem Wachstum verholfen. Jürgen hat 6 Jahre lang in Shanghai den Begriff «Geschwindigkeit» neu erlernt und mit nach Europa genommen. Sein Lebensmittelpunkt ist nunmehr Zürich.
Swiss Interim Management: Was sind die häufigsten Missverständnisse oder Vorurteile gegenüber Interim Managern?
Jürgen Kramer: Ein häufiges Missverständnis ist, dass Interim Manager nur kurzfristig eintreten, viel Geld verdienen und sich nicht um das Ergebnis kümmern. Das stimmt nicht. Gute Interim Manager bleiben oft in Kontakt mit den Unternehmen und Mitarbeitenden und unterstützen nachhaltig, auch bei Folge-Projekten.
Ein weiteres Vorurteil ist, dass Interims als «Spion» der GL agieren oder dass Führungskräfte das Gefühl haben, sie müssten ihre Qualitäten dem Interim Manager beweisen. Umgekehrt ist das der Fall: Interims werden ja genau von der GL für ihre spezielle Expertise ins Boot geholt – Sie haben nicht den Anspruch, die Führungseben zu ersetzen, sondern zu stärken.
Interim Manager bringen immer frische Perspektiven ein und haben idealerweise keine vorgefertigten Meinungen. Sie bieten eine objektive Sichtweise und arbeiten im Interesse des Unternehmens. Das grösste Missverständnis ist, dass sie nur kurzzeitig da sind und sich dann nicht mehr kümmern. Tatsächlich sehen sie sich während Ihres Assignments oft als normale Teammitglieder und implementieren nachhaltige Lösungen, was sie von rein externen Management-Beratern unterscheidet..
Swiss Interim Management: Wie sieht ein typischer Tagesablauf eines Interim Managers aus?
Jürgen Kramer: Er ähnelt stark dem eines festen Mitarbeiters. Man muss sich schnell einarbeiten und effizient arbeiten, um die gesteckten Ziele zu erreichen.
Interim Manager durchlaufen oft ein intensiveres Onboarding, da die GL dies persönlich unterstützt und sie die Firma schneller verstehen und Informationen sammeln müssen, um später Prozesse effizient zu optimieren. Der Tagesablauf ist daher nicht sehr viel anders als der eines internen Mitarbeiters. Durch den zeitlich begrenzten Lebenszyklus konzentrieren sie sich darauf, das Wichtigste zu erreichen, Prioritäten zu definieren, und nachhaltige Verbesserungen zu implementieren. Pareto ist ein wichtiges Stichwort.
Swiss Interim Mangement: Wie lange dauern Deine Projekte in der Regel?
Jürgen Kramer: Zwischen einem und drei Jahren. Es hängt vom Projekt ab. Manchmal arbeitet man auch nur einen oder zwei Tage pro Woche für einen Mandanten, dann aber wieder für längere Zeiträume am Stück.
Swiss Interim Management: Welche Eigenschaften sind für einen erfolgreichen Interim Manager besonders wichtig?
Jürgen Kramer: Geschwindigkeit, breitgefächerte Erfahrung, Menschlichkeit und Authentizität. Man muss schnell und effektiv handeln können, ohne zu viel Widerstand zu erzeugen.
Swiss Interim Mangement: Wie haben sich die Anforderungen an Interim Managern in den letzten Jahren geändert?
Jürgen Kramer: Die Schnelligkeit des wirtschaftlichen Wandels hat die Bedeutung von Interim Managern verstärkt. Unternehmen müssen schneller auf Veränderungen reagieren, und Interim Manager können dabei helfen. Durch Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz, die Pandemie, Herausforderungen in der Lieferkette und das Streben nach CO2-Neutralität sind Unternehmen gezwungen, sich immer schneller anzupassen. Interim Manager bieten die notwendige Expertise und Agilität, um Unternehmen in diesen dynamischen Zeiten effektiv zu unterstützen.
Swiss Interim Management: Hast du Tipps für Unternehmen, die zum ersten Mal einen Interim Manager in Betracht ziehen?
Jürgen Kramer: Achten Sie auf die fachliche Qualifikation, aber lassen Sie letztendlich Ihr Bauchgefühl entscheiden. Die Chemie muss stimmen, und Sie müssen sich vorstellen können, mit dieser Person für den zu definierenden Zeitraum gerne und konstruktiv zusammenzuarbeiten zu können.
Und andersherum: Wenn Sie im Bewerbungsprozess, egal ob für Angestellte oder Interim Manager, eine Persönlichkeit gefunden haben, die perfekt zu Ihrem Unternehmen passt und mit der die Kommunikation reibungslos läuft, binden Sie diese Person und schaffen Sie eine geeignete Position für sie. Sie wird dann tatsächlich zum «Human Capital». Denn das sich immer schneller drehende Personalkarussell schadet jedem Unternehmen, Vertrauenswürdigkeit und Integrität für Ihr Schlüssel-Personal sind entscheidend. Es ist wichtig, Menschen zu finden, mit denen Sie auf einer Ebene kommunizieren können und der Ihre Vision teilt, weil sie gleiche Werte teilen, dieselbe Vision verfolgen. Eine gute Zusammenarbeit basiert auf Empathie und Vertrauen.
Swiss Interim Management: Vielen Dank für das Interview, Jürgen. Es war sehr aufschlussreich.
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